LE DERNIER SORCIER VON PAULINE VIARDOT

 

ZAUBERER, ELFEN UND CHINESISCHE KOBOLDE

Auf der Waldbühne in Arosa wurde die Operette «Le dernier sorcier» aufgeführt

Uwe Oster Aroser Zeitung 4.8.2023 

 

Die Operette auf der Waldbühne ist stets einer der Höhepunkte im Aroser Kultursommer. Das hängt zum einen natürlich mit dem Ort der Aufführung zusammen. Etwas Stimmungsvolleres als die Waldbühne gibt es dafür kaum. Die Atmosphäre zwischen den hohen Bäumen ist einmalig, man fühlt sich fast wie in einem Märchen. Und deshalb geht der Blick von Veranstaltern und Besuchern vorab in Richtung Himmel – hoffentlich hält das Wetter, und die Aufführung kann auf der Waldbühne stattfinden. Denn eben: Das ist schon ein ganz besonderer Reiz!

Dazu kommt, dass es ja nun keineswegs selbstverständlich ist, dass in einem kleinen Dorf wie Arosa jährlich eine Operette aufgeführt wird. Natürlich nicht mit grossem Orchester und Chor, aber klein und fein. Mit Musikerinnen und Musikern, Sängerinnen und Sängern, bei denen man das Gefühl hat, dass sie genau diese intime Atmosphäre schätzen und deshalb mit besonderer Freude und Begeisterung dabei sind. Auch werden dabei weniger allseits bekannte Operetten aufgeführt, sondern Schätze gehoben, die oft lange im Verborgenen geschlummert haben.

 

Musikalische Schätze

Hat Arosa Kultur diese Operetten früher gar noch in Eigenregie organisiert und inszeniert, arbeitet der Kulturverein seit einigen Jahren mit Partnern zusammen, die sich auf solche Veranstaltungen im kleineren Rahmen spezialisiert haben. In diesem Jahr war wieder die «Oper im Knopfloch» zu Gast. Mit dem «Pralinésoldaten» hatten sie zuletzt ein eindrucksvolles Gastspiel gegeben. Heuer spielten sie die Operette «Le dernier sorcier», die vielleicht nicht ganz so eingängig war wie der «Pralinésoldat». Das mag mit auch daran gelegen haben, dass die zeitbedingten Anspielungen auf den französischen Kaiser Napoleon III. heute nicht mehr unbedingt verstanden werden, dadurch aber eben ein Element fehlt. Nichtsdestoweniger überzeugte «der letzte Zauberer» dennoch durch die Protagonisten, die einmal mehr mit grosser Freude «spielten». Und das gilt für die Sängerinnen und Sänger ebenso wie für die Musikerinnen und Musiker. Fabrice Raviola als Zauberer, der mithilfe chinesischer Kobolde seine Zauberkraft wieder gewinnen will, Rosina Zoppi als Elfenkönigin, die sich köstlich darüber amüsiert, wie sie den Zauberer an der Nase herumführt, dessen urkomischer Diener (Ruben Banzer), Bettina Schnebeli als Prinz oder Nicole Hitz als Tochter des Zauberers. Dass die Operette rund um Zauberer und Elfen tatsächlich im Wald spielt, prädestinierte sie natürlich für die Aufführung auf der – nomen est omen – Waldbühne in Arosa. Man darf gespannt sein, welche Operette im kommenden Jahr auf der Waldbühne aufgeführt werden – und welcher verborgene musikalische Schatz dann geborgen wird. Ich freue mich jedenfalls schon darauf.

 


AMLETO VON SAVERIO MERCADANTE

 

Kammerversion von Saverio Mercadantes „Amletof“ im Theater Stok   28. 10. 2022

Herbert Büttiker roccosound.ch

 

Die Oper im Knopfloch hat weder Raum noch Mittel eine Oper in authentischer Gestalt zu präsentieren, aber in der kammermusikalischen Reduktion macht sie auf unbeachtete Schätze aus den Archiven bekannt. Mit Saverio Mercadantes Hamlet-Oper von 1822 knüpft sie an die Produktion von 2018 an. Damals tauchte  Niedermeryers  grosse Oper „Marie Stuart“ im Knopfloch auf. Jetzt zeigte sich mit Geltrude (für Gertrude)  nach Shakespeares „Hamlet“ als eine frühe italienische Variante der Mutter und Königsmörderin im Kellergewölbe des Zürcher Theater Stock. Das Melodramma, das die Primadonna ins Zentrum rückt, macht sie zur Hauptfigur und rückt Hamlet, eine Hosenrolle, an die zweite Stelle.  Das mag unter der Prämisse einer Shakespeare-Oper irritieren, aber die Produktion macht deutlich, dass es sich auf seine Weise im Kern um ein beachtenswertes „Psycho-Kammerspiel“ aus melodischer Dramatik handelt. 

 

Die Oper im Knopfloch holt Saverio Mercadantes Hamlet-Oper aus dem Dunkeln 28. Oktober 2022

Sein oder Nichtsein ist hier nicht die Frage

Wo begegnet man heute dem Komponisten Saverio Mercadante, wenn nicht gerade sein Flötenkonzert im Radio gespielt wird? Auf eine seiner Opern nach gewichtiger Vorlage hat nun die «Oper im Knopfloch» im Theater Stok in Zürich aufmerksam gemacht. Gespielt wurde das Melodramma tragico «Amleto».

Shakespeare und die italienische Oper: Die Erfüllung dieser Verbindung brachte bekanntlich Verdi mit «Macbeth» und den späten Werken «Otello» und «Falstaff». Seine Anläufe zu einem «Re Lear» führten leider nicht zum Ziel. Tiefer Respekt vor dem grossen Dramatiker begleitete seine Arbeit, die er gewissermassen als Übersetzung des Elisabethaners ins Musikalische verstand.

Verdis Vorgänger Saverio Mercadante und Vincenzo Bellini kannten dessen Skrupel kaum, das italienische Melodramma mit seiner eigenen Ästhetik stand in junger Blüte, Felice Romani, der Librettist für Mercadantes «Amleto» (1822) wie für Bellinis «Capuleti e i Montecchi» (1830) stellte ihnen dafür Libretti zur Verfügung, die das Augenmerk stärker auf die Verdichtung grundsätzlicher Konstellationen und dramatischer Momente in musikalisch stringenter Form richteten als auf den epischen Rahmen: In Bellinis Romeo-und-Julia-Oper fehlen die zarten Szenen der ersten Begegnung, der Balkon, der Morgen der ersten Nacht mit Nachtigallen und Lerchen und auch die heimliche Hochzeitszeremonie – fast der ganze «Roman» also.

Shakespeare und Romani

So gut Bellinis Oper heutzutage im Repertoire verankert ist, so unbekannt ist Mercadantes Melodramma tragico «Amleto». Premiere war am 26. Dezember 1822 an der Mailänder Scala. Beim Stichwort Shakes- peare kann man nun aber eben ein Fragezeichen setzen. Romani selber hielt Shakespeare als Melodramma-Vorlage für ungeeignet und folgte in der Sicht auf die Konstellation der Handlung der Analogie der antiken Tragödie um Orestes und den Königs- und Muttermord am Hof von Mykene.

Psycho-Kammerspiel

Die mörderische Mutter Geltrude und ihr Sohn Amleto sind in der Oper denn auch das zentrales Motiv, hinzu kommt der konventionellere Konflikt Amelias, die Amleto liebt, aber zu einer vom Vater Claudio arrangierten Ehe mit Aldano gezwungen wird. Im «Psycho-Kammerspiel nach Shakespeares Hamlet» schält die Oper im Knopfloch diese Konstellationen heraus und zeigt sie aIs Familiendrama und Krimi im Mafia-Milieu: Am Boden die Nummernschildchen und Kreidesilhouette vom Tatort des Kapitalverbrechens (Regie: Yaron David Müller-Zach). Das Spiel stützt sich auf die musikalischen Nummern, deren Eloquenz und dramatische Intensität das Ensemble gekonnt nutzt, dies letztlich überzeugender als im pantomimischen eher forciert wirkenden Spiel. Für das exzessive Gebaren wie auch für das Stimmvolumen zumal der Männerstimmen wären grosszügigere Raumverhältnisse von Vorteil.

Mercadante im Knopfloch

Selbstverständlich ist das vokale dramatische Konzentrat im Kellergewölbe des Theaters Stock auch nicht die Oper: Es fehlt der Bühnenraum und es fehlen Orchester und Chor. Immerhin hat der Bearbeiter der Partitur, der tschechische Komponist Jan Rösner sehr stilklar und klangsensibel gearbeitet und das kleine Ensemble mit Isabelle Weymann (Flöte) Gurgen Kakoyan (Klarinette), Antonio Lagares (Horn), Julien Kilchenmann (Violoncello) und der musikalischen Leiterin am Klavier, Judit Polgar, legt eine bravouröse Leistung an den Tag.

Das gilt auch eindrücklich für das Sängerensemble mit dem Tenor Pawel Grzyb für den schmierigen Liebhaber Aldano, den Bariton Fabrice Raviola für den forschen Intriganten Claudio und die Sopranistin Nicola Hitz für die gequälte Amelia. Zögern und Misslingen machen Amleto zur spannenden Figur, die von der Mezzosopranistin Bettina Schneebeli – eine zeittypische Hosenrolle – intensiv gestaltet wird.

Frauenliebe und Verbrechen

Die Rolle der Primadonna mit der grossen Arie am Schluss gehört jedoch nicht Amleto, sondern Geltrude, die mit ihrem Gewissen, den Muttergefühlen und dem brüchigen Verhältnis zu ihrem machthungrigen Partner Claudio kämpft. Rosina Zoppi, die das handgeschriebe- ne Manuskript des «Amleto» für ihre Truppe im Archivio storico Ricordi ausgegraben hat, findet in dieser komplexen Rolle eine musikalische Partie für sich, in der sie ihr grosse sängerische Erfahrung einbringen kann und in der Ausdruckskraft mehr zählt als frisches Timbre.

Man ahnt in der Partie dieser fatalen Figur Donizettis Elisabettas und Lucrezia Borgia. Die bescheidene Oper im Knopfloch könnte so immerhin Anstoss sein, den schlechten Ruf des Werks seit dem Fiasco der Uraufführung zu revidieren. Das «Sein oder Nichtsein» und den Geist Shakespeares im weiten Sinn mag man vermissen – auch derjenige, der Hamlet erscheint, wirkt eher beiläufig. Wie sehr sich Mercadante aber auf dramatische Melodik verstand, ist in Arien, Duetten und Ensembles ohrenfällig genug.

So macht die Produktion Lust, sich mit Mercadante weiter zu beschäftigen. In den ersten Jahrzehnten war dieser im Opernbetrieb Italiens eine der Hauptfiguren. Seine Wieder- entdeckung hat in den 1970-er Jahren eingesetzt. Die Oper «Il Giuramento» (1837), die als sein Hauptwerk gilt, liegt in diversen Einspielungen vor, andere sind durch Mitschnitte von Festivals in Wildbad, Wexford, Villa Franca wieder aufgetaucht, sein umfangreiches Instrumental- und kirchenmusikalisches Werk bleibt weithin ungespielt.

 


DER PRALINÉSOLDAT VON OSCAR STRAUS

«Ich hatte für das Sterben nie, besonders grosse Sympathie»

06.11.2021, Jan Krobot / Zürich

 

Für die aktuelle Saison hat Rosina Zoppi, Gründerin und Leiterin der Oper im Knopfloch

Oscar Straus Heldentraum «Der Pralinésoldat» ausgesucht.

 

Yaron David Müller-Zach (Regie) gelingt es die Problematik der teilweise recht einfachen

Reime (im Stile von «Ich hatte für das Sterben nie, besonders grosse Sympathie») und der

heute (in der Schweiz) kaum noch geläufigen zeitlichen Einordnung (serbisch-bulgarischer

Krieg) elegant zu umgehen: unter Einbezug von Texten George Bernhard Shaws, der die

Vorlage des Librettos verfasst hat, lässt er das Werk in deutsch und englisch wie auch an den

vom Libretto vorgegebenen Orten sowie an einem Filmset der Dreissiger Jahre spielen. Damit

nimmt er Bezug auf die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte und erreicht mit der Figur des

Regisseurs, der immer wieder die Rolle eines Conférenciers einnimmt, noch zusätzlich eine

Verankerung in der Gegenwart. Heldenträume hatten und haben alle Epochen: der Pralinésoldat

ist erfolgreich in die Gegenwart geholt. Die traditionell sparsame Bühne und die stimmigen

Kostüme hat Jasmine Lüthold entworfen.

Kateryna Tershchenko hat die musikalische Einstudierung besorgt. Elena Vartikian am

Klavier, Elias Menzi am Hackbrett, Gurgen Kakoyan mit der Klarinette und Jojo Kunz am

Kontrabass ersetzen, wie es bei der Oper im Knopfloch Tradition ist, das Orchester und tragen

bestens durch den Abend.

Fabrice Raviola gibt das Familienoberhaupt Oberst Kasimir Popoff. Mit wunderbar strömendem

Bariton und grosser Präsenz gelingt ihm eine atmosphärisch dichte, glaubwürdige Darstellung

des Kriegshelden. Rosina Zoppi singt die Aurelia, Popoffs Gattin, und ist ihrem Gatten die

Stütze daheim. Sara-Bigna Janett leiht der Nadina, der Tochter der Popoffs, ihren heldischen

Sopran. Es gelingt ihr bestens, die Freude auf die Heirat mit Major Alexius Spiridoff, mit

herrlichem Tenor von Ruben Banzer verkörpert, auf die Bühne zu bringen. Jacqueline Oesch

ist als Haushaltshilfe Mascha die dritte Dame, die den Reizen des Schweizer Geschäftsmanns

Bumerli, mit kernigem Charaktertenor Christoph Breitenmoser, erliegt. Max Gnant als Film-

Regisseur und der kurzen Szene als Massakroff, moderiert die glückliche, so aber unerwartete

Lösung der Verhältnisse: Bumerli muss die Konsequenzen von Nadinas Kompromittierung

tragen und sie heiraten. Spiridoff führt Mascha in den Hafen der Ehe.

Grosses Theater in kleinem Rahmen: Hingehen und Erleben!

 


DIE FESTA TEATRALE ALS GEBURTSTAGSPARTY

www.roccosound.ch - Herbert Büttiker 19.10.19

20 Jahre Oper im Knopfloch: Die kleine Truppe um die Gründerin, die Sängerin, Managerin und Dramaturgin Rosina Zoppi hat sich zum Geburtstag mutig eine kaum bekannte Oper des grossen österreichischen Barockmeisters Johann Joseph Fux vorgenommen.

Die Oper im Knopfloch ist im durchaus ansehnlichen Kellergewölbe des Theaters Stock zu Hause. Der Ausdruck «Knopfloch» hat im Hinblick auf die Proportionen dennoch seine Berechtigung, speziell wenn es um «Grosse Oper» geht. Eine Grand Opéra von Louis Niedermeyer wurde 2019 präsentiert, und als zwanzigste Produktion hatte nun am vergangenen Freitag die Festa teatrale «Angelica, vincitrice di Alcina» Premiere. Johann Joseph Fux (1660– 1741) komponierte sie für die Festlichkeit zur Geburt des Prin-zen Leopold 1716 und war ein Grossereignis, die sogar eine durchschnittliche Opernbühne als Knopfloch erscheinen lässt.

«Angelica vincitrice di Alcina» wurde im Freien aufgeführt, mit Bauten auf zwei künstlichen Inseln in einem Teich der Wiener Sommerresidenz. Der berühmteste Szenograf seiner Zeit, Giuseppe Galli dessen Nähe Hirtenfled, der Geburtsort des Komponisten, liegt. Geschichte und Gegenwart da Bibiena, baute die spektakuläre Bühne, eine Seeschlacht war einer der szenischen Höhepunkte im Mittelakt, und als Schlussbild erschien laut Libretto eine «Macchina trionfale della Felicità publica», auf der die Helden und Ritter ein Ballett aufführten. Die Komparserie bestand unter anderem aus chinesischen Pagen, schwarzen Sklaven, Seeleuten, kaukasischen Kriegern und Korsaren, aus Wilden und schrecklichen Monstern.

Das grosse Geld

Das Orchester war stark besetzt, die Angaben schwanken zwischen sechzig Instrumentlisten, die auf einem Stich zu zählen sind , und 100 oder 200 in zeitgenössischen Berichten. Es handelte sich um eine der teuersten Theaterproduktionen ihrer Zeit. Die englische Lady Mary Wortley Montagu, die auf ihrer Reise die Aufführung gesehen hatte, schrieb nach Hause «nothing of that kind was even more magnificent», und sie wundere sich nicht, dass allein die Dekorationen und Kostüme den Kaiser £30'000 sterling gekostet hätten.

Das ist Geschichte. Heute noch präsent ist Fux zumal mit seinem kirchenmusikalischen Werk und mit Orchesterwerken, die von der «Grandezza della Musica imperiale» zeugen. Von seiner «Angelica» verweist die Recherche auf eine einzige Produktion in neuerer Zeit, 1985 in Graz, in dessen Nähe Hirtenfled, der Geburtsort des Komponisten liegt.

Geschichte und Gegenwart

Gegenwärtig greifbar sind aber auch Particell und Libretto der Oper, der geschrieben Gesang, die komponierte Dramatik, und Gegenwart ist mit Aufführungen bis 26. Oktober nun die Verle- bendigung des überlieferten Ma- terials durch das gut aufgestellte Team der Oper im Knopfloch. Denette Whitter leitet die musikalische Aufführung am Cembalo, Jojo Kunz arbeitet unermüdlich am Kontrabass, Guilherme Barroso steuert feine Lautenklänge bei, und die Flötistin Isabell Weymann vertritt mit frisch animierter und bewundernswerter Ausdauer solistisch das hohe Streicher- und Bläserregister zugleich.

Mit seiner Oper nach Ariosts «Orlando furioso» war Fux Händel voraus, als Opernkomponist steht er in seinem Schatten, wie sehr zu Unrecht lässt sich erahnen: Auffallend die rhetorische Kraft und der Rezitative, die starke Affektzeichnung der Arien, und haften bleibt besonders auch das Empfindsames. So das Duett des durch die

Machenschaften der Zauberin Alcina getrennte und im Gefängnis schmachtenden Liebespaars Angelica und Medoro – ein berührender Höhepunkt der Aufführung mit der Sopranistin Stephanie Bühlmann, die beherzt die leuchtende Titelfigur singt, und dem Tenor Pascal Marti, der lyrisch wie heroisch prägnant den Helden gibt, der um sie kämpfen muss.

Alcina als Vexierbild

Die böse Alcina, die am Ende besiegt ist, aber die Chance der Besserung erhält, ist auch in aufführungsprak-tischer Hinsicht eine unfassbare Figur. Ihren Part singt Regina Zoppi umständebedingt mit herbem Mezzsopran im Abseits, während die Schauspielerin Yael Hazan sämtliche Register der maliziösen, eifersüchtig wütenden, sadistisch lächelnden und in sich zusammensinkenden Hexe in aller Schönheit ausspielt. Wie sie das Gift mischt!

Sprung über die Zeiten

Mit robustem Gesang steht der Zauberin mit Fabrice Raviola als Atlante der magische Anwalt des treuen Paares gegenüber. Der weise Spiellenker hat eine weitere Aufgabe mit dem zweiten, weniger harmonischen Paar: Ruggiero, dessen blinde Leidenschaft Pawel Grzybs Tenor glaubhaft gestaltet, verschmäht, weil er in Angelica vernarrt ist, die ihn liebende Bradamante. Diese ergibt sich ganz ihrem Liebesleid.

Zugleich erlaubt sich die Aufführung, irritierend, aber durchaus auch mit Gewinn mit dieser Figur einen Sprung über die Zeiten und Stile. Bradamante, die als Mann verkleidet, Ruggiero aus Alcinas Fängen befreien will, kommt daher wie ein moderner Troubadour. Es ist die Mundartrock- und -popsängerin Nina Valotti, die ihre eigenen Lieder singt, sehr authentisch wirkt mit ihrer Herzschmerz-Lyrik, ihrer natürlichen Stimme und dem

fein differenzierten Gitarrenspiel, mit dem sie sich begleitet.

Das Beziehungsgeflecht und der szenische Verlauf erschliessen sich während der gut zweistündigen Vorstellung eher vage. Der Regisseur Oliver Kloeter findet zwar klare gestische Konstellationen, so dass immerhin die emotionale Lage der Figuren bildhaft deutlich wird, aber Zeitlupe und fixierte Pantomime bringen auch eine gewisse Steifheit mit sich. Doch vergessen wir Fantasy-Kino und die TV-Sitcom des Barock. Der Clou der Sache Oper ist ohnehin die Theatralik, die aus der Identifikation im Affekt der Musik erwächst, und dem kommt der kleine Raum, der Nähe schafft und dessen Gewölbe übrigens auch für interessante akustische Sondereffekte sorgt, ja auch schön entgegen.

 


"MARIE STUART" VOIN LOUIS NIEDERMEYER IN ZÜRICH

NICHTS WIE HIN!

www.operalounge.de - Samuel Zinsli

Seit dem Jahr 2000 bringt die Oper im Knopfloch Zürich Jahr für Jahr ein Stück vernachlässigten Musiktheaters auf die Bühne, von Barock bis Gegenwart, von Hasse über Hahn zu Heggie, von zwei Vertonungen von The Importance of Being Earnest (Paul Burkhard und Castelnuovo-Tedesco) über Prestami tua moglie von Leoncavallo zu Offenbachs Geneviève de Brabant, Sullivans Zoo und Waltons Bear nach Tschechov, um nur das Feld abzustecken – stets mit mehr Einfallsreichtum und Charme als Platz und Mitteln. 2018 hat diese Pêcheuse de perles unter den freien Opernkompanien der Deutschschweiz sich nichts Geringeres als eine Grand Opéra vorgenommen, die 1844 uraufgeführte Marie Stuart von Louis Niedermeyer (Première am 20.10. 2018). Dem Nichtspezialisten ist der 1802 in Nyon am Genfersee geborene Komponist mit bayerischen Wurzeln, der ab 1825 bis zu seinem Tode 1861 in Paris lebte und wirkte, am ehesten noch ein Begriff als Gründer und Direktor der École Niedermeyer daselbst, zu deren Zöglingen u.a. Saint-Saëns, Fauré und Messager zählen.

Diese Grand Opéra nun also im rund 80 Plätze zählenden Kellertheater Stok in Zürich, vom Publikum für die Atmosphäre, die Steinmauern, Pfeiler und Gewölbe geliebt, von der Regie für die maximal 24 m2 Spielfläche ohne Hinterbühne, dafür mit Publikum auf drei Seiten, gefürchtet. Ohne Chor, ohne Ballett, mit sechs Sängerinnen und Sängern und einem dirigentenlosen Holzbläserquartett – zweifellos ein kühnes Unterfangen, aber im vorliegenden Fall gewusst wie. Angefangen bei dem gelungenen Bläserarrangement von Jiří Slabihoudek, ein Klangkörper, der sich für den aufgrund der Mauern resonanzreichen Raum, wo schon ein Flügel überakustisch werden kann, ausgezeichnet eignet. Ob die Oboe Hornrufe imitiert oder die Flöte mit Flatterzunge Streichertremolos ersetzt – Isabell Weymann (Flöte), Elena Gonzalez (Oboe), Gurgen Kakoyan (Klarinette) und Alessandro Damele (Fagott) sind ein fabelhaft farbenreiches Orchester, von Kateryna Tereshchenko bestens einstudiert, und begleiten die Sänger/-innen mit aller gebotenen Aufmerksamkeit.

Regisseur Yaron David Müller-Zach findet ebenfalls einen überzeugenden Weg, die für eine Ausstattungsschlacht konzipierte Grand Opéra als Kammerspiel in Bild und Szene zu setzen. Fünf Stühle, Herbstlaub auf dem Boden und einige markante Requisiten reichen. Eine Krone (die im Lauf des Abends ebenso oft auf Köpfen wie auf dem Boden zu sehen ist), ein Kranz aus weißen Rosen als ihr Gegenstück (Macht und Liebe…), ein Dolch, je eine Fahne für die drei Spielorte Frankreich, Schottland und England – ach ja, die Oper beginnt mit Marie Stuarts Abschied von Frankreich, von wo sie aufbricht, um Königin von Schottland zu werden. Etwas französische Erde nimmt sie in der gefalteten französischen Lilienfahne mit, wo sie sie zuletzt im englischen Kerker wiederfindet. Weitere Stationen der Handlung: Maries Hochzeit mit Lord Darnley; dessen Verschwörung mit Maries missgünstigem Halbbruder Murray zu Ermordung von Rizzio, dem Sekretär und Liebhaber der Königin; Marie in Hausarrest nach der Ermordung ihres Gatten, wo sie zur Abdankung zu Gunsten Murrays gezwungen wird; schließlich die Begegnung mit Elizabeth I. im englischen Kerker – anders als die Akte davor nun zweifellos von Schiller inspiriert, auch ohne figlia impura di Bolena.

Auch die große Geste verbietet sich in der intimen Theatersituation – sie wird ersetzt durch konzentriertes, psychologisch glaubwürdiges Spiel im eben stets angedeuteten Bühnenbild. Rosina Zoppi, die künstlerische Leiterin der Oper im Knopfloch, vollbringt darin eine großartige Leistung mit sparsamer, aber ausdrucksstarker Gestik und Mimik. Ihre Marie Stuart ist frei von falschem Pathos, glaubwürdig in jeder Lage und hoheitsvoll durch die selbe Schlichtheit, mit der sie z.B. das Adieu von Frankreich auch musikalisch tiefempfunden gestaltet. Bothwell, der sich noch in Frankreich in sie verliebt und bis zur misslingenden Flucht aus der schottischen Haft ihr treu bleibt, ist Raimund Wiederkehr mit geschmeidig geführtem Tenor, dem die Eleganz der lyrischen Nummern ebenso zu Gebote steht wie die Intensität für die heldischen Momente. Mit seinem lebendigen Spiel ist er schon als Verliebter eine interessante Figur; packend in dem Duett, wo er Marie sowohl gestehen muss, dass er bei Rizzios Ermordung mit von der Partie war, als auch Fluchthilfe anbieten will. Im A-capella-Trio der Herren ist er die klangschöne Stütze. Den schmierigen Intriganten Murray portraitiert der Bariton Fabrice Raviola vom ersten Moment an plastisch; in seiner zweiteiligen Arie zeigt er unerwartet differenzierte Aspekte (von Niedermeyer komponiert, von Raviola eindringlich interpretiert): im langsamen Teil Gewissensbisse Marie gegenüber, im schnellen die wütende Gier nach der Krone, durch seine Demütigung als Bastard der Stuarts motiviert. Den andern beiden tiefen Männerpartien – Maries Gatten Darnley und ihrem Widersacher Lord Ruthven – leiht Aram Ohanian seinen kernigen, angemessen dunkleren Bariton. Die Rollen wechselt er z.T. auf offener Bühne per einfachem Jackettwechsel. Bei der Gelegenheit ein Lob an die kleidsamen und die drei Nationalitäten mit Einzelelementen anzeigenden Kostüme von Antonia Stadlin.

Als Page Georges erfreut Nicole Hitz mit höhensicherem und agilem Sopran. Im Duett mit der Königin stellt sie offenbar auch den gleich danach gemeuchelt werdenden Hofmusiker und Favorit Rizzio dar. Ob die Ensemblenummer, die den Mord an Rizzio (und zugleich die Pause) rahmt und auf Auld lang syne beruht, auch originaler Niedermeyer ist, der sich einer schottischen Melodie bedient, entzieht sich meiner Kenntnis.

Erst im letzten Akt tritt Elizabeth I. auf – Stephanie Bühlmann, die zunächst als Figur überraschend jung und unsicher wirkt, bezieht Autorität aus ihrem schön gerundeten Sopran und erlangt in der Auseinandersetzung mit Marie auch szenisch Postur. Die Szene ist kraftvoll komponiert, eine echte Alternative zu Donizettis Version. Überhaupt wirkt Niedermeyers Musik auf mich melodisch inspiriert und voller verschiedener Tonfälle für die Stimmungen von lieblich-idyllisch bis zu dramatischen Konflikten und Racheensembles. Vergleiche fallen mir nach einmaligem Anhören schwer, aber der Rossini des Tell und Auber scheinen mir am nächsten zu sein. Bei einer Spielzeit von rund 2 Stunden (ohne die Pause) ist sicher einiges gestrichen worden (wohl vor allem Chöre, Ballette und andere Massennummern), aber selbst wenn das Gestrichene alles schwächer als das Gehörte sein sollte, würde ich diese inspirierte und bühnenwirksame Komposition sehr gern vollständig an einem großen Haus hören. Bis zum 28. Oktober kann man diese Rarität noch in der gelungenen Fassung der Oper im Knopfloch kennen lernen (www.operimknopfloch.ch) – nichts wie hin! 

 


GROSSE OPER IM TASCHENFORMAT

„Marie Stuart“ von Louis Niedermeyer im Theater Stock,  20. 10. 2018

www.roccosound.ch - Herbert Büttiker

Der Stoff ist bekannt, die grosse Szene der Konfrontation von Maria Stuart und Königin Elisabeth im Park von Fotheringhay nach Schillers Vorgabe auch in der Oper die zentrale Szene. Donizetti platzierte sie in die Mitte der Oper als grosses Finale des ersten Aktes. Die Oper im Knopfloch hat die völlig vergessene Grand Opéra  von Louis Niedermeyer (1802–1861) aus der Versenkung geholt und präsentiert im Kammertheater  eine Version, die den Showdown in den fünften und letzten Akt verlegt – eine spannende Lektion Musikgeschichte und ein hautnahes Opernerlebnis.

Die Oper im Knopfloch präsentiert Louis Niedermeyers «Marie Stuart» 20. Oktober 2018

 

In der Katakombe der Operngeschichte.

Wer hat vom Komponisten Louis Niedermeyer schon mal gehört oder etwas gehört? Die kleine, aber entdeckungs- freudige Kompanie um die Sängerin und Leiterin Rosina Zoppi lädt dazu ein, seiner 1844 in Paris uraufgeführten, musikalisch attraktiven Oper «Marie Stuart» zu begegnen.

Die Tenöre von Caruso bis Pavarotti hatten sein «Pietà Signore» als Para- destück im Repertoire und die Sän- gerinnen «Les Adieux de Marie Stu- art» – aber eigentlich ist es vor allem still um den Komponisten, der als Sohn eines aus Würzburg stammen- den Musiklehrers 1802 in Nyon zur Welt kam, in Genf, Wien und Neapel studierte und sich 1823 in Paris nie- derliess. Mit seinem Opernschaffen konkurrierte er wenig erfolgreich mit Meyerbeer und Halévy.

Die Opéra en 5 actes «Marie Stuart» auf ein Libretto von Théo- dore Anne, die 1844 mit der um- schwärmten Diva Rosine Stoltz in der Titelrolle zur Uraufführung kam, fand zwar Gefallen beim anwesenden Königspaar. Niedermeyer wurde mit dem Kreuz der Ehrenlegion ausge- zeichnet, aber die Oper blieb nur für zwei Jahre im Repertoire. Nach seiner fünften und letzten Oper «La Fronde» (1853) konzentrierte er sich auf seine anderen Felder, Lied und Kirchenmusik. Er gilt als Vorreiter des französischen Lieds von Duparc bis Debussy, und seine auf die alte Polyphonie ausgerichtete Ecole Nie- dermeyer wurde zur wichtigen Ins- titution. Saint-Saëns, Fauré, Messager zählten zu den Schülern des Instituts, das seinen Gründer – er starb 1861 – um Jahrzehnte überdauerte und seinen Namen hochhielt. Sein Werk hingegen ruht grösstenteils in den Katakomben der Musikgeschichte.

Grand Opéra im Taschenformat

Wer auf den Opernkomponisten und seine «Marie Stuart» neugierig war, und es waren nicht gerade viele, stieg deshalb am Samstag in die Katakom- be. Als solche könnte man das Kellergewölbe des Theaters Stock am Hirschengraben durchaus empfinden, wäre da nicht ein Team am Werk, das es mit Engagement und grossem Können versteht, tote Materie ins musikalische Leben zurückzuholen.

Es mag ja zunächst allzu kühn anmuten, im Kleintheater eine Grand Opéra wieder auferstehen lassen zu wollen, aber darum geht es auch gar nicht. Grosse Chöre, Orchester, Orgel- und Glockenklang, ein So- listenensemble für zwanzig Rollen und dreissig Musikstücke von der Romanze bis zum Septett, fünf Akte und in der Mitte ein grosses Ballett, aufwendig gestaltete Schauplätze, historisches Kostüm – all das, was grosse Oper heisst, ist im Taschen- format nicht zu haben. Aber es bleibt eine Menge, und zumal der Kern, das sozusagen rein Kompositorische und die szenisch-musikalisch verkörperte Figur – und beides bietet die «Oper im Knopfloch» mit beachtlicher Bravour und, schon räumlich bedingt, ganz hautnah. Taschenformat gilt nicht für die Stimmen.

Dramatisches Bläserquartett

Originell ist das musikalische Arrangement von Iiři Slabihoudek, das das Orchester auf ein Bläserquartett überträgt. Mit unermüdlichem Impetus und virtuosem Einsatz gelingt es der Flötistin Isabell Weymann als quasi Konzertmeisterin, Elena Gonzalez (Oboe), Gurgen Kakoyan (Klarinette) und Alessandro Damele (Fagott) eine Atmosphäre von orchestraler Dramatik zu erzeugen, wozu etwa Flatterzunge als Tremoloeffekt gehört. Und wenn sie im fein ausgehorchten Zusammenspiel umgekehrt kammermusikalische Wirkung entfalten, so spricht auch das für die Qualität von Niedermeyers Musik. Fast magisch funktioniert der Kontakt mit den Sängern ohne ver- mittelnden Dirigenten, und wie sich alles im relativ kleinen Raum verbin- det und zur Opernszene kristallisiert, vermittelt dann doch eine Ahnung von Grosser Oper.

Freilich fehlt der Aufführung eine gewisse Anschaulichkeit und erzähle- rische Klarheit der Handlung. Anders als Schiller und dem diesem näher verpflichteten Donizetti, die das Drama um die rivalisierenden Königinnen konzentrieren, durchschreiten Niedermeyers Fünfakter die grosse biografische Spanne der schottischen, für kurze Zeit auch französischen Königin und schliesslich auch auf den englischen Thron spekulierenden Maria Stuart. 26 Jahre vergehen zwischen dem ersten Akt, der im Hafen von Calais spielt, von wo aus Marie Stuart 1561 nach Schottland zurückreist, bis zum fünften Akt, der erst Elisabeth I. ins Spiel bringt, und mit der Konfrontation der Königinnen und der Hinrichtung Maries im Jahr 1587 endet.

Dieser «Roman» ist ohne den Rah- men der Breitleinwand und mit der Kurzfassung des Werks und den be- scheidenen Mitteln nicht zu haben. Der Regisseur Yaron David-Müller- Zach setzt zur Personenführung im engeren Sinn behutsame Zeichen und einige wenige heftige Akzente, im ganzen abgestimmt auf die Möglichkeiten des Raumes, der altes Palastgemäuer und Gefängnisatmosphäre von selbst hergibt. Nur feinere Modellierung von Kostüm und vor allem Maske wären auch im Theaterkeller denkbar (Antonia Stadlin, Marianna Glauser).

Profilierte Figuren

Hervorragend nutzen die je drei Sängerinnen und Sänger für sieben der genannten zwanzig Rollen die heraus- fordernden und dankbaren Aufgaben dazu, sich beziehungsweise ihre Figuren zu profilieren. Nicole Hitz gibt

den Pagen mit kehlfertigem Pepp und anmutigen Vokalisen, Stephan Bühl- mann die Königin Elisabeth mit der gebotenen Attacke ihres schlanken Soprans und Rosina Zoppi, stimm- lich differenziert und melancholisch expressiv, über all die Situationen und Lebensphasen als Figur aber auch etwas gleichförmig die Hauptfigur Maria. Im Duett stachelten sich die beiden Frauen an, und sie führten eindrücklich vor, wie sehr die von Schiller vorgegebene Szene – wie Donizetti zehn Jahre zuvor – auch Niedermeyer zu einem dramatischen Höhepunkt inspirierte.

Trink- und Machtspiele

Zur weiblichen Hauptrolle gehört auch das grösste Bezugspotenzial zu den Männerstimmen. Da ist ihr ewig selbstloser Liebhaber Bothwell, für dessen ungestillte Leidenschaft Rai- mund Wiederkehr so viel tenorale Emotion und Intensität ins Feld führt, dass sie sich am Gewölbe reiben. Den auf ihre Krone lauernden Halbbruders Murray spielt der Bariton Fab- rice Raviola mimisch wie stimmlich stark. Die schillernde Arienszene, in derersich zumBösendurchringt,ist so als Kabinettstück der Partitur ins Rampenlicht gestellt. Als intriganter Mitspieler hat der Bariton Aram Ohanian im Stück zwar keine Soloszene für sich, dafür im Arrangement gleich zwei Rollen, stimmlich mit Noblesse und mimisch süffisant agiert er als Lord Darnley, Maries 2. Gatte, und als Lord Ruthven, Schachfiguren im politischen Spiel der Mächte.

Insgesamt zeigt das Ensemble mit seiner Bühnenpräsenz wie viel Poten- tial in der Musik dieser Oper steckt. Wie sie in ihrer Gesamtkonzeption über die fünf Akte den Bogen spannen könnte, muss als Frage offen bleiben. Wenn es aber die Absicht dieser Produktion ist, auf Qualitäten des Stücks hinzuweisen und ein Ensemble erleben zu lassen, das diese Qualitäten für den Augenblick erfahrbar macht, hat die Produktion ihr Ziel erreicht. Zu sehen ist das durchaus in einem grösseren Rahmen. Das Genre der französischen Grand Opéra findet in jüngster Zeit wieder mehr Beachtung. Der Hinweis auf Niedermeyer passt.

Herbert Büttiker

 

Weitere Aufführungen im Theater Stock, Hirschengraben 42, Zürich: 24., 26., 27. und 28. Oktober, jeweils 20 Uhr, Sonntags 17 Uhr.

Homepage: www.operimknopfloch.ch

Information zum Komponisten Louis Niedermeyer: www.niedermeyer-nyon.ch


THE LITTLE CAFÉ

Sibylle Ehrismann Zürichsee Zeitung 23.10.17

 

Amüsante Café-Geschichten

Die Oper im Knopfloch präsentiert im Zürcher Theater Stok mit „The Little Café“ eine kurzweilige Komödie mit charmanter Musik. Die leichtfüssige Regie von Rosina Zoppi ermöglicht den vier Sängern und Sängerinnen, aus ihren Figuren sympathische Charaktere zu gestalten.

 

„The Little Café“ des belgischen Komponisten Ivan Caryll (1861-1921) stammt aus der Zeit der Belle Epoque und gibt Einblick ins Leben eines kleinen Cafés um 1912. Die einen plagen, die andern lieben sich, und als der Kellner plötzlich ein Vermögen erbt, kehrt sich das Blatt. Mit einer Intrige will der Café-Besitzer an einen Teil dieses Vermögens kommen, was ihm jedoch nicht gelingt. Die Dialoge werden in Deutsch gesprochen, gesungen wird in Englisch.

 

Heiter und melancholisch

Die leichte Muse hat es in sich. Leicht und prickelnd virtuos müssen die Stimmen sein, und um die heiteren Pointen herauszuarbeiten, braucht es viel schauspielerisches Talent. Dies umso mehr, als die Oper im Knopfloch mit szenisch einfachen Mitteln agiert: Mehrere kleine Tische mit Stühlen im Kellertheater signalisieren das Café und ermöglichen den Sängern, einmal hier und einmal dort zu sitzen. Und den Wechsel ins Nobelrestaurant, wo sich der neureiche Kellner mit einer jungen Kokotte amüsiert, wird einzig mit hellen Tischtüchern und Kerzenlicht vollzogen. 

Im Mittelpunkt der Geschichte steht der arme Kellner Albert, der von der Tochter des Café-Besitzers stets gedemütigt wird und der trotz des grossen Erbes weiter als Kellner arbeitet. Ulrich Amacher macht aus dieser liebenswürdigen Figur einen schlauen, sympathischen Charakter. Nicht nur stimmlich weiss er die verschiedenen Facetten, das Heitere und Melancholische eindrücklich zu gestalten, auch schauspielerisch wirkt er sehr authentisch und amüsiert das Publikum mit raffiniert herausgespielten Pointen. 

Eifersucht und Herrschertum

Natürlich machen ihm die Frauen das Leben schwer. Die junge Sopranistin Nicole Hitz wechselt von der überheblichen Tochter des Café-Besitzers mühelos zur charmanten koketten Frau; die sprechenden Bell-Epoque-Kostüme von Marianna Glauser helfen ihr dabei. Ihr heller, gut geführter und in der Höhe sicher intonierter Sopran hebt sich gut ab von Rosina Zoppis dunklerer Stimme. Zoppi spielt die offizielle Freundin des Kellners und wechselt gekonnt zwischen Eifersucht und Herrschertum, auch dies in herrlich markantem, rotsamtigem Kostüm. Gut in dieses Sängerteam passt auch Fabrice Raviolas agile und charaktervolle Bariton-Stimme, er weiss als Kaffeehausbesitzer gut zwischen Autorität und Hinterlist zu changieren. 

Quirlig-virtuos

All dies gelingt, weil. Der musikalische Leiter Charl de Villiers den ganzen Abend äusserst präsent am Klavier begleitet. Er weiss dabei eingängige Melodien und leicht jazzig angehauchte Rhythmen ebenso sinnfällig auszuspielen wie die quirlig-virtuosen Auftritte schmissig zu begleiten. Geschickt ist der Schachzug, auch ein Saxofon einzusetzen, so wird der operettenhafte Sound der Belle Epoque echt groovig. Jochen Baldes trifft diesen Sound gekonnt. 

Das Publikum ging amüsiert mit, lachte immer mal wieder, der Schlussapplaus war herzlich begeistert. 

 


LA VENDETTA DI MEDEA

Sibylle Ehrismann Zürichsee Zeitung 24.10.16

 

Die Rache der Medea OPER Die neue Produktion der Oper im Knopfloch im Zürcher Kellertheater Stok erzählt das Familiendrama der Medea, die aus Rache oder Verzweiflung ihre Kinder tötet.

 

Im 17. Und 18. Jahrhundert war Medeas Schicksal ein beliebtes Opernsujet. Komponisten wie Cavalli, Lully, Charpentier, Händel und Cherubini haben es vertont. Erst wurde Medea meist als Geliebte Jasons dargestellt, später mehrheitlich als Kindermörderin und Rächerin. Nun hat Rosina Zoppi, die künstlerische Leiterin der Oper im Knopfloch, „La vendetta die Medea“, die recht unbekannte Medea-Oper des Neapolitaners Gaetano Marinelli (1754-1820?), für ihr Theater eingerichtet.

Im Theater Stok ist es eher eng, die Bühne und die Sänger und Sängerinnen sind einem nah, entsprechend direkt springt einen die Dramatik an. Das Bühnenkonzept von Gero Nievelstein ist schlicht und raffiniert zugleich, mehrere weisse Kuben können beliebig zu einer Mauer aufgestapelt, zu einer Bahre ausgebreitet oder verzweifelt durcheinander geworfen werden. So sind die Sänger-Darsteller immer mal wieder damit beschäftigt, mit wenigen Griffen neue „Räume“ zu schaffen, unterstützt von der subtilen Lichtregie Simonetta Zoppi-Altners.

Das Blau der Geliebten

Einfach, aber sprechend sind auch die Kostüme von Marianna Glauser. Die Sänger und Sängerinnen treten anfangs in ihrer Unterwäsche auf, sie werden zu den Figuren, indem sie deren Kleidung anziehen. Und Jason, der zu Beginn die Brauntöne von Medea trug, wechselt die Kleidung auf Drängen seiner neuen Geliebten Glauce auf der Bühne in ein blaues Hemd mit Hosen.

Das musikalische Arrangement ist für zwei Oboen, zwei Violinen, Viola und Violoncello geschrieben. Das Ensemble befindet sich hinten im Raum, die Sängerinnen und Sänger agieren seitlich davon auf der Bühne, die Kommunikation ist da nicht einfach. Der musikalischen Leiterin Kateryna Tereshchenko ist es gelungen, die Bühne und das instrumentale Kammerensemble gut aufeinander abzustimmen, und das ohne Dirigent.

Von der musikalischen Substanz her wirkte der erste Teil eher monochrom, Marinellis dramatische Arien sind nicht besonders fantasievoll. Jan Rusko gab den Jason mit markanter, eher lauter Stimme, Rosina Zoppi spielte die Medea mit guter Bühnenpräsenz und differenziertem sängerischem Ausdruck. Weicher und agiler als Rusko sang Fabrice Raviola den Creonte, die beiden Männer fanden sich im Trauergesang um die ermordete Tochter und Geliebte zu einem ergreifenden Duett.

Überhaupt hatte der zweite Teil mehr musikalische Farbe und Kraft. Nicole Hitz spielte Glauce, die naive junge Geliebte, mit weicher Gestik und anschmiegsamem, hellem Sopran, zu dem die dramatische Kraft von Stephanie Bühlmann als Furia einen wirkungsvollen Kontrapunkt setzte. Auch wenn eine derartige Hochdramatik in kammermusikalischem Format akustisch heikel ist, zeige das ganze Sängerensemble eine bemerkenswerte Leistung.

 

Theater Stok: Die Oper im Knopfloch ist zwar e

Sibylle Ehrismann Zürichsee Zeitung 24.10.16

 


SHAKESPEARE IM KNOPFLOCH

Sibylle Ehrismann Zürich Oberländer, Zürisee Zeitung, Der Landbote, 16.6.16

 

Wo sich Lady Macbeth und Julia treffen

 

Theater Stok: Die Oper im Knopfloch ist zwar eine kleine Truppe, wagt es aber doch: Zum 400-Jahr-Jubiläum von William Shakespeare bietet sie im Zürcher Theater Stok ein Shakespeare-Programm in fünf Produktionen.

 

Shakespeare, das ist für Rosina Zoppi, die künstlerische Leiterin der Oper im Knopfloch, das A und O der Theaterkunst. Dass sie sich so intensiv mit ihm auseinandersetzt, hat auch persönliche Gründe: „Ich habe Shakespeare schon immer geliebt“, sagt sie. „Mein erstes Shakespeare-Erlebnis hatte ich als Jugendliche bei einer Aufführung von „Henry V“ im Theater 11, da spielte eine englische Truppe. Es hat mich gepackt, das war reinste Musik für mich. Auch während meiner Studienzeit in London habe ich viel Shakespeare gesehen, mittlerweile habe ich alle seine Werke mindestens einmal erlebt.“ So lag es für Zoppi nahe, Shakespeare zum 400-Jahr-Jubiläum auch im intimen Rahmen ihrer Oper im Knopfloch zu feiern.

„Ich wollte von Anfang an ein mehrteiliges Mischprogramm mit gesprochenem und gesungenem Wort zusammenstellen“, sagt Zoppi, „und es sollte witzig sein.“ Nehmen wir zum Beispiel die Produktion „The Juliet Letters“ des Popmusikers Elvis Costello (*1954). Es geht um die „Briefe an Julia in Verona“ (Romeo und Julia), bekannt durch das Buch „Letters to Juliette“ von Lise und Ceil Friedman und durch den US-amerikanischen Kitschfilm von 2010.

Popmusik aus Liebesbriefen

Solche Liebeskummerbriefe können noch heute an den „Club di Giulietta“ geschickt werden, „da gibt es tatsächlich einen Typen, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, diese zu beantworten“, sagt Zoppi und lacht. Elvis Costello hat aus diesen Liebeskummerbriefen Popmuisk für klassisches Streichquartett und Sänger geschrieben. Die Sopranistin Stephanie Bühlmann und der Bariton Dominik Auchli präsentieren diese heute im Theater Stok mit de Galatea-Streichquartett.

Ein anderer Abend gilt den zwei berühmten Frauenfiguren Shakespeares: „Lady Macbeth meets Juliet“. Das sind zwei ganz unterschiedliche Typen, die eine hochdramatisch, die andere naiv und lieblich. Eine Begegnung dieser beiden grossen Shakespeare-Figuren gibt’s nur in der Oper im Knopfloch. Rosina Zoppi (Lady Macbeth) und Stephanie Bühlmann (Juliet) begegnen sich auch im Duett, sie singen, von Denette Whitter am Klavier begleitet, Arien und Duette von Bellini, Bernstein (West Side Story), Bloch oder Gounod.

Den Abschluss macht ein halbszenischer Abend zum Shakespeare-Motto „All the world’s a stage“. Das Sängerensemble singt Quartette, Terzette, Duette und Songs zum berühmten Satz „Die ganze Welt ist eine Bühne“, wobei aber kaum Shakespeare-Texte vorkommen. Es ist ein vitaler Mix, eine lose witzige Verbindung deutscher und englischer Vertonungen von Salieri, Gounod, Cornelius oder aus „Kiss me Kate“.

 


GENEVIÈVE DE BRABANT

Geneviève ist ein einfacher Gartenbesen,

ihr Liebhaber eine Bürste am Stiel

 

Sibylle Ehrismann Zürichsee Zeitung 20.10.15

 

Theater Stok: Jacques Offenbachs Opéra bouffe "Geneviève de Brabant" ist nicht nur ein schmissiges Stück Musik, die Oper im Knopfloch hat es auch witzig für Kleinbesetzung adaptiert. An der Premiere hat sich das Publikum köstlich amüsiert.

 

Offenbach selber scheint sich schwergetan zu haben mit seiner Vertonung der mittelalterlichen Sage von Genoveva von Brabant. Es gibt davon vier Originalfassungen, diejenige von 1859 führt im Rollenverzeichnis 72 (!) Figuren an. Dazu ein üppig besetztes Orchester und einen grossen Chor. Dies ist jedoch kein Hinderungsgrund für Rosina Zoppi, die künstlerische Letierin der Oper im Knopfloch, dieses Stück für ihr Kleintheater zurechtzuscheneidern: aus 72 wurden 15, aus einem Orchester Akkordeon und Kontrabass, und anstelle von Dutzenden von Ensmblemitgliedern singen und spielen nur gerade eine Darstellerin und zwei Darsteller.

 

Französischer Gesang und deutsche Dialoge

Einer davon ist der Schauspieler Matthias Flückiger, der für diese Produktion nicht nur eine neue deutsche Textfassung geschrieben hat, sondern auch Regie führte. Ihm sind witzige Dialoge gelungen, die Offenbachs Esprit atmen und aktuell sind: mit Anspielungen auf die Flücktlingsproblematik  und andere gesellschaftspolitische Probleme. Offenbach hat in seinen "Offenbachiaden" den dekadenten Adel seiner Zeit kritisch und amüsant demontiert, auch seine Grundidee kommt in dieser Produktion durch das Miteinander von französischem Gesang und deutschen Dialogen gut zur Geltung. Hauptdarsteller der 24 Rollen sind Besen. Sie sind bunt und in der Machart deutlich verschieden, überraschenderweise erkennt man sie bald schon gut als diese oder jene Figur. Sie werden von der dreiköpfigen Putzmannschaft, die in der Pause in der Zeitung die Story von der verbannten Geneviève de Brabant liest, wechselweise "gespielt": Der Herzog ist ein grosser Besen mit grünen Borsten, sein Widersacher Golo hat rote Borsten, die Herzogin Geneviève ist ein einfacher Gartenbesen, ihr geheimer Liebhaber eine braune Bürste am Besenstiel, und der Fürst, der mit dem Herzog in den Pseudokrieg zieht, ist der langstieligste und hat braune Stoppeln.

 

Mit Sinn für Pointen und heitere Animositäten

Es ist eine enorme sängerdarstellerische Herausforderung für Rosina Zoppi, Ueli Amacher und Matthias Flückiger, sich ständig den richtigen Besen zu schnappen und ihn entsprechend seiner "Figur" singend oder sprechend zum Leben zu erwecken. Das gelingt ihnen heiter und spielerisch, Offenbachs Drive kommt dabei gut durch. Der Tenor Ueli Amacher ist ein versierter Sängerdarsteller, er schlüpft agil in die verschiedenen Rollen und singt mit viel Sinn für Pointen und heitere Animositäten. Die Mezzosopranistin Rosina Zoppi spielt mit grosser Bühnenpräsenz auf und weiss Offenbachs anspruchsvolle und pfiffige Musik mit dramatischer Verve zu singen.

Auch der Schauspieler-Regisseur Matthias Flückiger spielt und spricht mit viel Temperament, singt aber etwas gepresst. Die Musikalische Leitung hat die Akkordeonistin Yolanda Schibli Zimmermann inne, sie sorgt zusammen mit Jojo Kunz am Kontrabass für eleganten Schwung und heiteren Drive. Begeisterter Applaus für alle Beteiligten.

 


L'IMPORTANZA DI ESSER FRANCO

Oper im Knopfloch
Coolness und Italianità

Jürg Huber NZZ 20.10.2014

 

Ist dies nun der Traumschwiegersohn? Lady Bracknell meint entschieden: Nein! Laut ist er, kaut Kaugummi und drückt die Zigarette in der Teetasse aus. Und da wäre noch die Sache mit dem Namen. Jacks Auserwählte Gwendolen steht auf das Pseudonym Ernest, mit dem er jeweils Ferien vom Landleben nimmt und London unsicher macht. Ja, wir sind bei Oscar Wildes Welterfolg «The Importance of Being Earnest» oder «Bunbury», wie das Stück in der deutschen Fassung meist genannt wird. Aber Ernest ist zu Franco geworden, denn erstens wird gesungen – und das klingt bekanntlich am besten auf Italienisch –, und zweitens ist Mario Castelnuovo-Tedesco der Komponist. Aus dem faschistischen Italien emigriert, hat er sich in Kalifornien niedergelassen und dort 1961/62 eine zweisprachige Wilde-Adaption für die Opernbühne geschrieben. Trägt schon die Komödie reichlich absurde Züge, sind diese in der italienischsprachigen Opernversion noch gesteigert.

 

Das beginnt im Musikalischen, denn Castelnuovo-Tedesco ist ein Komponist, der seine Musikgeschichte kennt. Zu jeder Situation kann er aus dem reichen Zitatenfundus schöpfen, sei's Hummelflug oder Walkürenritt, Hochzeits- oder Trauermarsch. Bei ihm verbrüdern sich, gehörig imprägniert durch die amerikanische Unterhaltungsmusik, deutsche Romantik und italienischer Belcanto. Im Theater Stok sorgt der musikalische Leiter Charl de Villiers zusammen mit seiner Klavierpartnerin Claire Pasquier und dem Schlagzeuger Mario von Holten dafür, dass der Instrumentalpart entsprechend spritzig über die Rampe kommt.

 

Für die jüngste Produktion der Oper im Knopfloch hat Rosina Zoppi ein junges Ensemble mit prächtigen Stimmen um sich geschart. Ján Ruskos sehr italienischer Algernon, Pascal Martis vorlauter Jack, Stephanie Bühlmanns elegante Gwendolen, Christa Fleischmanns köstliche Cecily, Catherine Freys offenherzige Miss Prism und Chasper-Curò Manis schillernder Reverend Chasuble geben in Claudia Blerschs präziser Regie dem aberwitzigen Spiel manche Pointe. Obwohl es an Insignien des British Empire nicht mangelt (Ausstattung Giulio Bernardi), nimmt die Italianità überhand, was zu entsprechenden Turbulenzen führt. Sind die kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede anfänglich scharf gezeichnet, so verbündet sich die liebestolle Jungmannschaft alsbald mit dem ältlichen Paar, bis der bizarre Showdown den Weg frei macht für ein umfassendes Happy End, dem nur Rosina Zoppis stramme Lady Bracknell verständnislos gegenübersteht.


THREE DECEMBERS

Starkes Trio, gut gemixt

ZÜRICH. «Three Decembers»: Die neue Produktion der Oper im Knoploch im Zürcher Theater Stok ist überaus amerikanisch und überzeugt. Am Samstag war Premiere.


SIBYLLE EHRISMANN © Der Landbote, 21. Oktober 2013


Mit der Kammeroper «Three Decembers» (2008), einer jazzig angehauchten Familien-Soap von Jake Heggie, wagt die «Oper im Knoploch» eine ungewohnt grosse Besetzung. Elf Instrumentalisten – an zwei Klavieren, Perkussion, Streich- und Holzblasinstrumenten – begleiten die drei Sänger(innen). Der kleine Gewölbekeller des Zürcher Theaters Stok kam dadurch an seine akustischen Grenzen. Dennoch gefiel diese europäische Erstaufführung gut. Amerikanisch ist nicht nur die Musik: ein gelungener Mix aus Jazz, Avantgarde und softem Sound. Auch die Geschichte ist es. Sie handelt von einer berühmten Schauspielerin, die gar Ambitionen auf den Tony Award hat, und ihren beiden Kindern. Sohn Charlie ist homosexuell, sein Lebenspartner Burt stirbt an Aids, und die Mutter interessiert es einfach nicht. Die Tochter Beatrice, selber zweifache Mutter, ist in einer unbefriedigenden Ehe gefangen und trinkt zu viel. Ihren Vater kennen sie kaum, laut der Mutter ist er von einem Auto überfahren worden. Zu Weihnachten 1986 schickt die Mutter ihren Kindern wie üblich einen oberflächlichen Weihnachtsbrief. Dessen Inhalt diskutieren die beiden per Telefon. Und die Mutter, eine mit üppigen Kleidern aufgedonnerte Primadonna, sitzt in einem Stuhl und schreibt den Brief – sie alle sind weit voneinander entfernt.

Flexibel und ideenreich
Die Bühne besteht aus einem weissen Bodenkorpus, der mit weissen Packkartons erweitert wird: so hat man stets Angst, eine der drei Sänger(innen) könnte einen Fehltritt machen und in ein «Weihnachtspaket» abstürzen. Eine gute Regieidee von Matthias Flückiger. Aus diesen Kartons werden auch flugs die Kostüme gewechselt. Bernhard Duss hat zudem für alle drei Figuren «sprechende», typisch amerikanische Kostüme entworfen: Die Tochter tritt in biederem schwarzem Kostüm samt Perlenkette auf, der Sohn wird nicht überzeichnet in seinem Schwulsein, sondern mimt den schlichten Good-Boy. Insgesamt werden drei Weihnachten gefeiert: 1986 – 1996 – 2006. An diesen Weihnachtstreffen werden Abgründe offenbar, welche die Musik kraftvoll und schräg darstellt. Unter der Leitung von Charl de Villiers wirkte das Instrumentalensemble kompakt und ausdrucksstark,  rhythmisch flexibel und stets passend im «Sound».

Souverän, mit Zwischentönen
Jeannine Hirzel singt den schwierigen Part von Tochter Beatrice mit souveräner Stimmführung und schauspielerischen Zwischentönen; ihr angesäuseltes Torkeln in der «Szene 2006» mimt sie ausgezeichnet, auch die Verzweiflung, als sie von der Mutter nebenbei erfährt, dass ihr Vater ein versoffener Schauspieler war und sich das Leben nahm. Sohn Charlie gibt Nikolaus Kost mit gut tragender und farbenreicher Stimme, ein sympathischer Junge mit Tiefgang. Die vielschichtige Rolle der nur um ihren Erfolg bekümmerten «Mutter» wird von Rosina Zoppi gesungen, welche auch die künstlerische Gesamtleitung hat. Sie weiss die kühle Unnahbarkeit, die Sucht nach Beifall, die gespielten «Muttergefühle» mit starker Bühnenpräsenz und stimmlichem Raffinement rüberzubringen. Die drei zusammen ergeben ein Familientrio, das sich aus der Banalität in ein echtes Drama steigert – das Publikum liess sich darauf ein und spendete herzhaften Applaus.


THE BEAR

Sibylle Ehrismann © Der Landbote

Der britische Komponist William Walton (1902–1983) hat es eine «Extra-vaganza» genannt: Seine einaktige Oper «The bear» ist ein komödian-tisches Schauspiel nach Anton Tschechow. Die Premiere am Mittwoch war schlicht köstlich.

 

William Walton war einer der führenden britischen Komponisten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er trug in neoromantischer Manier klanglich ordentlich dick auf, schrieb seine Musik für grosse Orchester, und das besonders erfolgreich für epische Filme.

   Wie keck und humorvoll seine Ideen jedoch sind, offenbarte diese stark reduzierte Kammerfassung von «The bear» für Klavier (Charl de Villiers), Klarinetten (Christian Ledermann), Violoncello (Avraam Donoukaras) und Perkussion (Mario Von Holten) mit eindrücklicher Verve. Produziert wurde der Einakter von der «Oper im Knopfloch» unter der künstlerischen Leitung von Rosina Zoppi in einer eigens für sie eingerichteten Kammerfassung.

   Die Geschichte dreht sich um die Witwe Popova, die sich nach dem Tod ihres Ehemannes, der sie übrigens nach Strich und Faden betrogen hatte, ganz zurückgezogen hat, um nur noch zu trauern. Ihr Butler Luka (von Andreas Pister rührend gespielt) versucht vergeblich, sie zum Ausgehen zu bewegen. Da taucht Smirnov auf, ein Bauer, bei dem der Verstorbene noch beträchtliche Schulden hatte. Er braucht sein Geld ganz dringend, um die Pacht zu bezahlen, doch sie ziert sich zunächst. Die beiden zanken sich, wollen sich gar duellieren, doch zum Schluss sind sie

ineinander verliebt.

   In der einfachen, aber atmosphärenreichen Bühnendekoration mit Paravent, Sofa und Unterwäsche-Schickimicki (Bühne Simone Baumberger, Kostüme Kathrin Baumberger) spielt Rosina Zoppi als Popova grossartig auf. Sie gibt die Dame von Welt nicht nur mit starker BühnenpraÅNsenz (Regie Matthias Flückiger), sondern singt diese «scheinheilige» Figur auch mit beeindruckendem dramatischem Temperament und virtuoser Stimmführung.

 

Locker ausgespielte Pointen

Der Streit zwischen Popova und dem Bauern Smirnov wird in diesem Stück auch musikalisch als köstliche Zankerei ausgekostet. Michael Raschle gibt einen rauen, ungepflegten Bauern, der sich mit sympathischem Selbstbewusstsein einfach nicht abwimmeln lässt. Im schlagfertigen Dialog mit Popova

wird deren «Scheinheiligkeit» brutal demontiert. Raschle singt die heikle Bariton-Partie stimmgewaltig und doch agil. Dass das alles so leichtfüssig gelang, ist auch das Verdienst der vier Instrumentalisten,

die unter der Leitung von Pianist Charl de Villiers die rhythmisch anspruchsvollen Pointen locker auszuspielen vermochten.


MACBETH

Tanja Holzer © Zürichsee Zeitung 8. November 2010


Die Oper im Knopfloch zeigte am Freitagabend auf der Bühne Fasson in Lachen eine ergreifende Vorstellung nach Shakespeares "Macbeth".


Mit blutverschmierter, weisser Kleidung betritt der siegreiche Held Macbeth (Robert Braunschweig) die Bühne Fasson. Die Schlacht ist gewonnen, die norwegischen Eindringlinge sind vertrieben. Im schummrigen Licht wechseln die Pianoklänge von Andrew Dunscombe vom Dramatischen ins Huldvolle. Im Wald erscheinen Macbeth drei Hexen, die ihm den Thron prophezeien. Den Thron? Nur der Mord an König Ducan (Jean-Pierre Gerber) würde diese Macht ermöglichen. Mutig und stark und doch von Schaudern getrieben, kehrt Macbeth nach Hause zurück zu seiner machtgierigen Frau. Duncan verkündet am Siegesfest, sein zukuünftiger Schwiegersohn Douglas (Pawel Grzegorz Stach) werde Thronfolger. Der König und Freund Ducan nächtigen unter Macbeths Dach, und damit scheint sein Los entschieden zu sein. Lady Macbeth (Rosina Zoppi) wetzt die Messer, mixt den Schlummertrunk und stachelt ihren Mann intensiv an. Königstochter Moina (Stephanie Bühlmann) und Douglas werden in der Nacht von unruhigen Vorahnungen getrieben und geniessen doch den Liebestaumel, während König Macbeth blutigem Machthunger zum Opfer fällt.

Raffiniertes Arrangement

Die Oper im Knopfloch ist es gewohnt, vor meist sehr gut gefüllten Zuschauerrängen zu spielen. Das eher spärlich aufmarschierte Publikum in Lachen zollte der hervorragenden Leistung der Künstler dafür mit unglaublich begeistertem, tosendem Applaus seine Wertschätzung. Die Aufführung war mit nur fünf Darstellern und dem Piano als einzigem Instrument stark komprimiert, was aber den qualitativ hochstehenden Gesang umso mehr betonte. Die Requisiten waren reduziert und untermalten zusammen mit den Kostümen raffiniert die Handlung.

Auf unbekannte Opern spezialisiert

Das Ensemble Die Oper im Knopfloch hat sich spezialisiert, unbekannte Opern auf kleinstem Raum und mit viel Publikumsnähe aufzuführen. Die heroische Oper nach Shakespeare war nicht jene von Giuseppe Verdi in vier Akten, sondern diejenige in drei Akten von André Hippolyte Jean Baptiste Chelard.